Heraklit, der "Dunkle" (gr. ho skoteinós), ist wohl der erste abendländische Dialektiker, der systematisch die Bewegung als Einheit der Gegensätze auffasste. Das berühmte Wort alles fließt (gr. panta rhei) ist zwar kein authentisches Fragment von Heraklit, aber es bringt seine Philosophie sehr prägnant zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem Heraklitischen Fluss1.
Einige Fragmente2 des Heraklit
Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes
und wieder anderes Wasser zu. (12)
In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht,
wir sind es und wir sind es nicht. (49a)
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. (91)
Das Kalte wird warm, Warmes kalt;
Feuchtes wird trocken, Trockenes feucht. (126)
Ein und dasselbe offenbart sich in den Dingen als:
Lebendes und Totes, Waches und Schlafendes,
Junges und Altes. Denn dieses ist nach seiner
Umwandlung jenes und jenes, wieder umgewandelt,
dieses. (88)
Diesen Logos (= Weltgesetz der Gegensätzlichkeiten),
der doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht,
weder bevor sie davon gehört noch, sobald sie davon
gehört haben. Denn obgleich alles nach diesem Logos
geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts
davon ahnten. (1)
Obgleich aber der Logos allem gemeinsam ist, leben doch
die Vielen, als ob sie eine eigene Denkfähigkeit hätten. (2)
Polemos (= Widerstreit, Kampf, Gegensätzlichkeit) ist der
Vater von allem, der König von allem; die einen macht er
zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven
die anderen zu Freien. (53)
Man muss wissen, dass Polemos das Allgemeine ist
und das Recht die Gegensätzlichkeit und dass
alles Geschehen vermittels des Widerstreites und
der Notwendigkeit erfolgt. (80)
1Dies ist eine Formulierung von Edmund Husserl zur Beschreibung des stets aktiven menschlichen Bewusstseins.
2Fragmente sind Überlieferungen anderer Autoren, die hier nach Wilhelm Capelle, die Vorsokratiker, mit der dazugehörigen Nummerierung zitiert sind.